MEINUNG | Beziehungsstatus: Es ist kompliziert – Wahlen in Bosnien und Herzegowina

Der Wahlkampf in Bosnien und Herzegowina (BiH) bewegt seit Wochen die Menschen des Landes. Er polarisiert. Auch die realen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die Pandemie und ihre Folgen für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft fanden keinen Niederschlag. Nationalismus, Nepotismus, korrupte politische Netzwerke und externe geopolitische Akteure, die mit eigenen Interessen an dem Land zerren, haben das BiH in eine noch tiefere Krise gestürzt als vor den Wahlen 2018.
Peter Beyer MdB. Fotograf: Daniel Königs.

Die Wahlen am 2. Oktober versprechen wenig Aussicht auf eine bessere Zukunft. Von Annäherung und Versöhnung entfernt sich das Land immer weiter. Der Wahlkampf insbesondere der nationalistischen Parteien, HDZ (BIH), SDA und SNSD, offenbart schonungslos: Das Land ist mehr denn je entlang ethnischer Linien im Inneren gespalten. Kriegsrhetorik und ausgrenzende Äußerungen sind an der Tagesordnung.


Besonders der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beeinflusst die Stimmung vor dem Wahltag. Umso wichtiger sind die Präsenz der Europäischen Union und Konzepte für eine konstruktive Zukunft des Landes. Auch für die EU-eigenen Sicherheitsinteressen ist mehr Engagement unerlässlich. Das Vertrauen auf eine Beitrittsperspektive ist erschüttert und die Bereitschaft, in Beziehungen zu China, der Türkei und insbesondere Russland zu investieren ist längst Geschäftsmodell parteipolitischer Entscheidungsträger.
Während die politische Elite der Bosniaken sich wegen der Kriegserfahrungen mit den Ukrainern solidarisieren und den Krieg verurteilen, lässt sich Milorad Dodik (SNSD) seinen Wahlkampf unter anderem vom russischen Präsidenten Putin finanzieren. Freundschaftsbekundungen zwischen Putin und ihm, zuletzt am 5. September in Moskau, sind mediales Wahlkampfmittel. Bosnische Serben zeigen Verständnis für das russische Vorgehen, denn die Nato wird seit den 1990er Jahren als Feind betrachtet. Dodik schürt Ressentiments gegen den Westen und die NATO. Er ist Putins verlängerte Hand und will in keinem Fall, dass EUFOR zu einem reinen NATO-Mandat wird. Die HDZ nutzt das politische Chaos für die Schaffung einer eigenen, dritten Entität – übrigens ein Kriegsziel bosnischen Kroaten aus den 1990er Jahren.


Das Spiel Putins scheint aufzugehen: Er ist ein „Trojanische Pferd“, dass den Vertrauensverlust in die EU nutzt, um zu destabilisieren. Es geht ihm darüber hinaus um die Schwächung der transatlantischen Partnerschaft. Seit Jahren macht Dodik mit seiner Abspaltungsrethorik Schlagzeilen. Dass die EU keine Anstalten macht einzugreifen, ist entweder ein Beleg für einen evidenten Strategiemangel oder schlicht Ignoranz.


Positiv ist, dass die Wahlen trotz politischer Blockaden am 2. Oktober wie geplant stattfinden können. Ein Verdienst, das man dem Hohen Repräsentanten Christian Schmidt zuschreiben darf, denn selbstverständlich ist dies nicht. Wie geht es nach den Wahlen weiter? Schon heute ist absehbar, dass die Wahlergebnisse vermutlich zu neuen Spannungen und Unruhen führen könnten, von denen insbesondere die externen Akteure weiter profitieren werden.


Die EU muss mehr investieren, denn die kommenden vier Jahre werden zeigen, ob die EU ein schlauer David oder ein tumber Goliath ist. Einer der Steine des schlauen Davids sind abgestimmte EU-Sanktionen mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien gegen Personen, die den Gesamtstaat BiH spalten wollen. Ein weiterer ist eine aktive Präsenz der EU, die die Zivilgesellschaft mit Programmen im Bereich Aufarbeitung und Versöhnung nachhaltig unterstützt. Der dritte Stein ist ein zügiger EU-Kandidatenstatus.
Deutschland sollte nicht erst den Berlin-Prozess im November nutzen, um den „Aufbruch in eine bessere Zukunft“, so der Titel eines kürzlich eingebrachten Bundestagsantrages der Ampel-Fraktion gemeinsam mit der Union, mit einer handfesten Strategie zu unterlegen. Es braucht eine aktive Unterstützung bei der Erfüllung wesentlicher Bedingungen für einen Kandidatenstatus wie eine Wahlrechts- und Verfassungsreform. All das entlässt die dann neu gewählten Volksvertreter BiHs jedoch nicht aus ihrer Verantwortung. Es muss eine zügige Regierungsbildung geben ohne Blockaden. Das ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren gemeinsamen Schritte.

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