Vater Dmitry Sobolevskiy ist jung, westlich geprägt und kritisch. Als russischer Staatsbürger ist das dieser Tage lebensgefährlich. Der Geistliche hat selbst noch keine Repressionen erlebt, fürchtet diese aber für seine Familienangehörigen, die noch in Russland leben. Er gehört zu einer Gruppe russisch-orthodoxer Priester, die wenige Tage nach dem 24. Februar, dem Tag des Angriffs auf die Ukraine, einen offenen Brief mit der Aufforderung des sofortigen Waffenstillstands unterzeichnet haben und diesen an Patriarch Kirill, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, nach Moskau gesendet haben.
„Die russisch-orthodoxe Kirche muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie dem diktatorischen Herrscher im Kreml nahe steht und sich nicht klar gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine positioniert“, urteilt der CDU- Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, der sich kürzlich mit Vater Dmitry in Hösel zum Austausch traf. Der Priester, der gemeinsam mit seiner Gemeinde im evangelischen Gemeindezentrum in Hösel ein Domizil gefunden hat, ist ein hoher Geistlicher: Er ist Erzpriester des Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa, unter Metropolit Johannes von Dubna (Jean Renneteau), dessen Zentrum sich in Paris befindet. Er ist ein weit über Europa hinaus bekannter Religionsphilosoph.
Das Gespräch im Höseler Pfarrzentrum begleiten Mariya Tsurkan und Lovis Schröder. Beide Frauen arbeiten Seite an Seite mit Vater Dmitry im Vorstand der Gemeinde zum Heiligen Nikolaus. „Die russisch-orthodoxe Kirche ist eine Kirche, in der viele Nationen zu Hause sind“, versichert Tsurkan. Sie selbst sei Ukrainerin aus Charkiw. Sie berichtet weiter: Seit dem Kriegsbeginn sei die Zahl ihrer Mitglieder stark angestiegen. Die Gemeinde helfe den Flüchtlingen, sammle Spenden und sei ein Anlaufpunkt. Vater Dmitry feiere regelmäßig Gottesdienste in Flüchtlingslagern in Düsseldorf und Mülheim. Viele Mitglieder hätten auch selbst Flüchtlinge bei sich aufgenommen. „Wir unterscheiden nicht nach Nationen in unserer Gemeinde.“, sagt das Vorstandsmitglied weiter und berichtet von ihren Freunden und Verwandten, die in Charkiw unter dem täglichen Bombardement der Russen leiden.
„Krieg ändert alles“, so Beyer, der sich für das Gemeindeleben interessiert. Gänzlich problemlos sei die Situation in der Gemeinde jedoch nicht, berichtet Vater Dmitry, denn der Konflikt sei auch in der Gemeinde spürbar. Nach einer klaren Positionierung gegen den Krieg habe es Austritte gegeben, und er habe Anfeindungen erlebt. „Ich sehe meine Aufgabe darin, die Gemeinde zusammenzuhalten“, sagt er. „Wir sprechen im Gottesdient nicht über den Krieg“, sagt er diplomatisch. Er wolle keine „Konfrontation“, betont er. Aber man könne auch nicht wegschauen, denn „es sterben tausende unschuldiger Menschen- wir sind alle Menschen“, sagt er.
Beyers Gesprächspartner leben schon länger in Deutschland. Es ist ihr zu Hause, betonen sie. „Wir erfahren in Deutschland, und bei uns in der Gemeinde, im Großen und Ganzen vorwiegend große Unterstützung, ganz gleich um welche Nationalität es sich handelt.“, sagt Schröder. Unterstützung hat die Gemeinde zum Heiligen Nikolaus vor allem von der evangelischen Kirchengemeinde Hösel erfahren, wofür sie ihr, und im Besonderen Pfarrer Michael Lavista, unendlich dankbar sind. Er habe ihnen, wie der gute Samariter, trotz der damit verbundenen Umstände in seiner Gemeinde Obhut gegeben, erklärt die junge Frau. 2019 habe die Gemeinde mit der Suche nach einer Räumlichkeit begonnen, in der sie gemeinsam ihren Gottesdienst feiern können. Viele Briefe seien verschickt worden. „Es war wie ein Wunder, als Pfarrer Lavista uns anrief“, sagt Tsurkan dankbar.